Ein Gespräch mit Konrad Gulden, dem Vorsitzenden der Polnischen Fremdenverkehrsamtes über den Tourismus in Polen.
Sehr geehrter Herr Direktor
Wir haben uns im März dieses Jahres auf der Freizeit-Reisemesse in Nürnberg getroffen. Es war die zweite Woche des Krieges in der Ukraine, und die ganze Welt und auch unsere Tourismusbranche standen erneut unter tiefem Schock und unvorstellbarer weiterer Unsicherheit.
Zunächst hatten zwei Jahre der Corona-Pandemie ihre Spuren hinterlassen, und dann, als es Hoffnung auf ein besseres Tourismusjahr 2022 gab, brach ein schrecklicher Krieg aus. Viele Menschen fragen sich, ob ein Urlaub in Mittel- und Osteuropa und insbesondere in Polen noch sinnvoll ist, beziehungsweise ob er sicher ist?
Auswirkungen der Ukrainekrise auf den Tourismus in Polen
Was sind Ihre Eindrücke nach der Tourismusmesse in Nürnberg? Welche Rolle spielt der Krieg aktuell für die Reiseentscheidung deutscher Touristen?
Der Überfall auf unser Nachbarland ist schrecklich. Wir rechnen im Moment aber nicht mit Stornierungen in größerem Maße. Wir hoffen alle, dass der Krieg in der Ukraine und damit das Leid der Menschen dort sehr bald beendet wird, denn der Tourismus weltweit lebt vom friedlichen Zusammenleben der Menschen und Austausch der Kulturen. Der deutsche Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck hat das im Rahmen der Internationalen Tourismus Börse Anfang März sehr treffend formuliert: „Er sehe im Tourismus eine Möglichkeit zur Völkerverständigung – es gebe kein besseres Gegenwicht zum Krieg als den Tourismus“.
Diejenigen, die sich für Polen als Reiseziel entschieden haben, sind verunsichert, ob es in der derzeitigen Situation möglich ist, sicher zu reisen. Mit welchen Argumenten überzeugen Sie die Betroffenen, Polen dennoch zu besuchen?
Wir können jetzt nur von der aktuellen Situation ausgehen und da können wir sagen, dass die Situation in Polen nicht unsicherer ist als in Deutschland. Der Südosten unseres Landes, der unmittelbar an die Ukraine grenzt, wird bislang nur von einem kleinen Teil der deutschen Gäste besucht. Die beliebtesten Reiseziele der Deutschen liegen vor allem im Westen unseres Landes. Die meisten Deutschen zieht es an die Ostseeküste, nach Danzig, in Seebäder wie Kolberg oder Swinemünde, sowie in Regionen wie Masuren, das Riesengebirge und das Hirschberger Tal. Diese beliebten Ziele der Deutschen sind weit weg von der polnisch-ukrainischen Grenze und dort ist die Situation nicht gefährlicher als in Deutschland – man ist ähnlich weit entfernt von dem Kriegsgeschehen wie beispielsweise in Berlin.
Polen steht in puncto humanitärer Hilfe in engem Austausch mit den anderen EU-Mitgliedsstaaten. Gemeinsam bemühen wir uns, den Menschen aus der Ukraine eine würdige und sichere Unterbringung zu ermöglichen. Seit Februar haben wir in Polen zwei Millionen Menschen bei uns aufgenommen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet sind. Viele sind bei Freunden oder Bekannten untergekommen und dank einer sehr großen Hilfsbereitschaft der Menschen auch bei vielen polnischen Familien. Zum Teil werden sie auch vorübergehend in Hotels oder Pensionen untergebracht, aber das sind Einzelfälle und es betrifft nicht die Ferienanlagen, die üblicherweise von deutschen oder anderen ausländischen Gästen gebucht werden.
Insofern ist nicht davon auszugehen, dass Gäste, die ihren Urlaub in Polen verbringen, Einschränkungen hinnehmen müssen. Polen ist trotz des Krieges im Nachbarland Ukraine und einer hohen Zahl von Flüchtlingen eine sichere und attraktive Destination. Aber die Besucher werden überall im Land die Zeichen der Solidarität mit unserem Nachbarland Ukraine sehen.
Tourismus in Polen und die Corona Pandemie
Wie sieht die aktuelle Situation für die Tourismusunternehmen in Polen aus – diejenigen, die seit zwei Jahren mit den Auswirkungen einer Pandemie zu kämpfen haben, müssen sich nun mit der Unsicherheit des Krieges in der Ukraine auseinandersetzen?
Seit 2014 ist die Zahl der Touristen aus Deutschland kontinuierlich gestiegen. 2019, im letzten Jahr vor Beginn der Corona-Pandemie, zählten wir mehr als sieben Millionen deutsche Übernachtungsgäste. Ein Grund für das starke Wachstum war der Ausbau der gesamten touristischen Infrastruktur. So hat sich die Zahl der Hotels vom Jahr 2000 bis 2019 etwa verdreifacht.
Corona bescherte auch Polen deutliche Einbrüche. So sank nach Zahlen der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) für das Jahr 2020 die Zahl der deutschen Gäste bei Urlaubsreisen von fünf und mehr Tagen um 17,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Weil aber viele andere Urlaubsländer größere Einbrüche verzeichnete, konnte Polen in diesem Segment seinen Marktanteil sogar steigen und belegte Platz sieben der beliebtesten ausländischen Reiseziele der Deutschen – noch vor Ländern wie Frankreich oder Griechenland. Bei den Kurzreisen von zwei bis vier Tagen schaffte es Polen sogar auf Rang vier der beliebtesten Auslandsziele.
Natürlich gibt es Menschen, die angesichts der Bilder des Krieges jetzt generell nicht in Urlaub fahren möchten – ob nach Italien, in die Türkei oder nach Polen. Das muss man akzeptieren. Andererseits sind viele Menschen nach zwei Jahren Corona-Beschränkungen und Home-Office auch erschöpft und wünschen sich sehnlichst eine Reise, um sich zu erholen und mal wieder etwas Anderes zu sehen. Auch dieses Bedürfnis ist natürlich legitim.
Aktuelle Corona Situation in Polen
Wie ist die aktuelle Pandemiesituation in Polen? Ist es unter diesem Gesichtspunkt sicher, nach Polen zu reisen? Wie haben sich die polnischen Tourismusorganisationen auf diese Saison vorbereitet?
Die ersten Monate des Jahres 2022 standen noch im Zeichen der Pandemie. Doch die Entwicklung ist sehr positiv. Aktuell liegt die wöchentliche Inzidenz nur noch auf einem geringen zweistelligen Wert und damit sehr viel niedriger als in Deutschland und vielen anderen Ländern. Deshalb hat Polen die Corona-Beschränkungen weitestgehend aufgehoben. Auch die Einreise ist nicht mehr reglementiert, eine Nachweispflicht sowie Quarantäneregeln gibt es nicht mehr. Daher waren wir sehr zuversichtlich, was das Reisejahr betrifft.
Tourismus in Polen – Ein Ausblick
Wenn der Krieg in der Ukraine bald zu Ende ist, was wir uns alle wünschen und hoffen, was ist dann Ihre Prognose – was sind die beliebtesten Urlaubsziele und Urlaubsformen und welche Trends in Bezug auf Urlaub in Polen sind bei den Deutschen derzeit zu beobachten?
Mit der Pandemie haben sich die Bedürfnisse der Reisenden verändert: Urlaub mit Abstand und Erholung mit Blick auf die Gesundheit liegen im Trend. Sehr gefragt sind deshalb unsere Nationalparks und die anderen Großschutzgebiete, aber auch unsere Kur- und Wellnesseinrichtungen. In den vergangenen beiden Jahren suchten viele Gäste auch gezielt nach Pensionen oder kleinen Schlosshotels in ländlichen Regionen. Zudem sind immer mehr Wohnmobile und Wohnwagen auf polnischen Straßen zu sehen, weil insbesondere deutsche Gäste viel Wert auf eine optimale Kombination aus Sicherheit und Komfort in der Natur legen.
Viele Gäste bevorzugten zudem Reiseziele, die leicht zu erreichen sind, zum Beispiel mit dem Auto, Zug oder Camper, und davon konnte Polen profitieren. Zudem schätzten viele deutsche Gäste die Möglichkeit, dort mit viel Abstand einen Urlaub in der Natur zu verbringen.
Es war ein sehr interessantes Gespräch, wir danken Ihnen für Ihre Zeit und hoffen, dass wir es nächstes Jahr in einer friedlichen Atmosphäre wiederholen können.
Danksagung
Wir möchten allen unseren Kollegen aus der Tourismusbranche und anderen Polen für ihr großes Engagement bei der umfassenden Hilfe für die Flüchtlinge aus der Ukraine und für ihr großes Herz danken. Wir hören und lesen von zahlreichen privaten Aktionen. Dies ist nach dem zweijährigem Corona-Albtraum für die Touristikbranche keineswegs selbstverständlich. Die solidarische Haltung unserer Partner und Landsleute in Polen und im Ausland, voller Empathie für andere Menschen in Not, verdient besondere Betonung und unsere aufrichtige Bewunderung. Deshalb ist es jetzt so wichtig, die gesamte polnische Wirtschaft und vor allem touristische Unternehmen mit zahlreichen Besuchen in Polen zu unterstützen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, zu überleben und sich weiterzuentwickeln.