Masuren und Warschau: Auf den Spuren der Familiengeschichte und polnischer Identität

Autor: Patrick Bopp

12. November 2024

Er schreibt über polnische Städte und Reisen in Zeiten der Pandemie.

Bestens beraten von Frau Jajte von ‘Polenreisen Nürnberg’, tourten wir vom 11. bis 22. September 2024 unbeschwert durch Masuren und Warschau. Die von ihr empfohlenen Hotels waren super, wunderbar gelegen und boten den Komfort, den man sich wünscht, wenn man längere Zeit darin zu bringt: In Pisz wohnten wir 4 Nächte im ‘Joseph Conrad’. Aus den Fenstern unseres Zimmers blickten wir direkt auf den Roschsee/Roś. In Warschau war das ‘Mercure Hotel Centrum’ unser Basislager im Schatten des ‘Kulturpalastes’. Frühstück in beiden Hotels wird als Buffet serviert und war ein Erlebnis. Insbesondere die große Auswahl an Salaten und Fisch erfreute unsere Herzen – neben dem üblichen Programm warmer und kalter, pikanter und süßer Speisen.

Auf den Spuren der Familiengeschichte in den Masuren

In Masuren folgten wir den Spuren der Familie. Nicht weit von Pisz hatte Mutters Familie ihr Gehöft abseits von Dorren/Zdory am Sextersee/Jezioro Seksty, von dem leider nichts geblieben ist. Vaters Familie trieb Landwirtschaft in Diebau/Dybowo, südlich von Lyck/Ełk; der Hof existiert noch. Das Fahren mit dem Mietwagen fanden wir entspannt, 90 km/h auf Landstraßen, 50 km/h in geschlossenen Ortschaften, oft 40, sogar 20 km/h in Wohngebieten.

Stadtführung in Warschau

Frau Jajte empfahl für einen ersten Überblick in Warschau eine Gästeführerin, Ewa Bochinska, mit einer privaten Stadtführung auf Deutsch. Per Email verständigten wir uns über Zeitpunkt und Kosten. Wir wünschten uns Schwerpunkte der polnischen Geschichte mit Nachdruck auf dem jüdischen Polen und dem Warschauer Aufstand. Der verlangte Preis für 3 Stunden war bestens angelegt für einen farbigen Überblick.

Ewa zeigte uns die historische Alt- und Neustadt sowie das Umfeld des Schlosses mit den Gärten. Ein wichtiger Ort der polnischen Identität ist die nahe Johannes-Kathedrale. Dort wurde die aufgeklärte Verfassung vom 3. Mai 1791 verkündet, die erste von einem Parlament verabschiedete in Europa. Zudem wird das Abbild der Ikone der Schwarzen Madonna von Tschenstochau gezeigt; es ist bekrönt, wie es 1717 angeordnet wurde, nachdem die Madonna bereits 1656 symbolisch zur Königin Polens erklärt worden war. Beide sind wichtig für die polnischen Identität, die den Kommunismus innerlich auf Distanz hielt. Ewa hält die Polen für geborene Rebellen.

Ein Streifzug durch Weltgeschichte

Henryk Sienkiewicz liegt in der Kathedrale begraben, der 1905 für den Roman ‘Quo Vadis’ den Literatur-Nobelpreis erhielt. In der Neustadt steht das Geburtshaus der zweimaligen Nobelpreisträgerin Marie Curie. Hier wurde sie 1867 als Maria Salomea Skłodowska geboren. Zwischen Alt- und Neustadt befindet sich das Denkmal des Warschauer Aufstandes. Es lehnt sich im Süden an das moderne Gebäude des Obersten Gerichtes für Zivil- und Strafsachen an. In realistischer Manier stellt es überaus heroisch die Kämpfer des Aufstands dar. Zwei Stationen mit dem Stadtbus weiter fanden wir das Denkmal des Getto-Aufstands, direkt gegenüber vom Eingang zum Polin, dem Museum für jüdische Geschichte in Polen. Hier kniete Willy Brandt bei seinem Besuch am 7. Dezember 1970 spontan nieder. Ein Erinnerungsmal steht ganz in der Nähe auf einem Platz, der nach ihm benannt ist. Was sollen wir sagen? In 3 Stunden gelang es Ewa, unsere Wünschen so zu orientieren, dass wir während der folgenden Tage sie nach Gutdünken  vertiefen konnten..

Wir besuchten das Polin und den Erinnerungsort ‘Umschlagplatz’, wo die SS die Transporte in die Vernichtungslager zusammenstellte. Sehr eindrücklich empfanden wir das Ringelblum-Archiv im Jüdischen Historischen Institut. Das Museum des Warschauer Aufstands ließen wir uns ebenfalls nicht entgehen, suchten das Bronze-‘Denkmal für die Gefallenen und Ermordeten im Osten’ auf, wie auch das (private) Museum über das ‘Leben im Kommunismus’ u.v.a.m.

Ewa hatte aufmerksam gemacht, dass alle Museen an verschiedenen Tagen der Woche einen Ruhetag einhalten und einen Tag mit freiem Eintritt. Wir richteten uns danach, so dass wir nie vor verschlossenen Türen standen und einige Eintrittsgelder sparten.

Warschau eine angenehme, moderne Metropole

Warschau ist mit dem ÖPNV bestens erschlossen und brachte uns angenehm und zügig an alle gewünschten Ziele. Menschen über 70 Jahre fahren frei, außer in der Metro. Sonntags sind alle Öffentlichen frei für alle. Man denke, für ältere Menschen geben manche sogar ihren Platz auf!

Auch zu Fuß ist Warschau sehenswert: Die ul. Nowy Świat, die Neue-Welt-Straße, ist eine einladende Flaniermeile. Am Freitag Abend (vielleicht am ganzen Wochenende?) fanden wir sie auf ganzer Länge gesperrt für den Autoverkehr, da Fußgänger in dichten Massen sich drängten. Sie ist Teil des Königswegs, der in der Verlängerung zum eigentlichen Prachtboulevard wird, dem Krakowskie Przedmieście. Von der unteren ul. Nowy Świat zweigt die Chmielna ab, eine Fußgänger-Straße mit Speisegelegenheiten, eine neben der anderen, die wir mehrfach auf dem Rückweg zum Hotel passierten. Überall an den Straßen gibt es Bänke zum Ausruhen; in den Parks, von denen viele über die Stadt verteilt sind, sowieso. Einer grünt sogar auf dem Dach der Universitäts-Bibliothek. Neben Botanik-Studierenden, die hier ihre Studien treiben, haben Besucher*innen offenen Zugang. Im Stammhaus der Universität, 1816 gegründet, hörten wir in einer Aula ein abendliches Chopin-Konzert, free of charge.

Joseph Conrad bemerkte: „Die weitesten Reisen unternimmt man mit dem Kopf“. Recht hat er! Kaum war unser Kopf in Warschau, reisten wir ihm schon nach. Wir sind begeistert, wie modern und lebendig die Stadt ist – geradezu animiert von der Rekonstruktion ihrer historischen Gestalt.

Detlev und Ruth Hapke/12.10.2024

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